Artist | Karin Hoerler (*1952)
https://www.artist-info.com/artist/Karin-Hoerler
Biography
Biography
1952 geboren in Frankfurt am Main
1973 - 75 Lehre als Schriftsetzerin
1975 - 77 Arbeit als Schriftzeichnerin
1977 / 78 Besuch der Kunstgewerbeschule Basel
1978 - 81 Arbeit als Grafikerin
1981 - 87 Studium an der Städelschule in Frankfurt/Main, Meisterschülerin bei Professor Peter Kubelka
1988 Studium an »The School of the Art Institute of Chicago«
1990 + 94 Lehrauftrag an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach/Main
Solo Exhibitions
Solo Exhibitions
1987 Galerie Schütz, Worms
1990 Galerie ak, Frankfurt/Main
Forum der Frankfurter Sparkasse (K)
Art Cologne, im Förderprogramm junger Künstler bei Galerie ak
1991 Fleetinsel 71, Hamburg
Sequenz IV, Frankfurt/Main
1992 Galerie Heinrich Schmidt, Grenzach-Wyhlen
Galerie Axel Thieme, Darmstadt
Galerie Karin Friebe, Mannheim
1993 Kloster Weingarten
1994 Galerie Lauter, Mannheim
Galerie ak, Frankfurt/Main
Eichhaus, Bad Dürkheim
Positionen aktueller Kunst, Museum für Moderne Kunst im Mousonturm, Frankfurt/Main (K)
1995 Galerie Erhard Witzel, Wiesbaden
1996 Galerie Karin Sachs, München
Galerie Erhard Witzel, Wiesbaden
Forum der Frankfurter Sparkasse
1997 Institut für moderne Kunst in der SchmidtBank-Galerie, Nürnberg
1998 Kunstverein Frankfurt/Main
Galerie Erhard Witzel, Wiesbaden
Kunstverein Heilbronn
Group Exhibitions
Group Exhibitions
1986 Kunststudenten stellen aus, Wissenschaftszentrum, Bonn (K)
1988 Say It!, Columbus Drive Gallery, Chicago
1989 / 90 Fußball in der Kunst, Pfalzgalerie Kaiserslautern und Leopold-HoeschMuseum, Düren (K)
1990 Art Frankfurt, Art against Aids, Auswahl der Werke: Jan Hoet
frank & frei, Freiburger Kunstverein
1990 / 91 Galerie Axel Thieme, Darmstadt-Eberstadt
1991 Zeitgenössische Kunst aus der Deutschen Bank, Bayer AG, Leverkusen und Museum für Moderne Kunst Bozen und Galerie Jahrhunderthalle Hoechst (K)
Kapitel 2, Karmeliterkloster, Frankfurt/Main (K)
Stipendiaten der Künstlerhilfe 1990, Galerie ak, Frankfurt/Main (K)
10 Jahre Galerie Thieme, Darmstadt-Eberstadt
Art Aid, Aids-Hilfe, Frankfurt/Main
1991 / 92 Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, Galerie ak, Frankfurt/Main
1992 Das Verschwinden des Subjekts, Ausstellung des Museums für Moderne Kunst zum Symposium im Gästehaus der J.W. Goethe Universität, Frankfurt/Main (P)
Tiefgang, Bildräume im Schloßbunker, Mannheim (K)
Auflagenobjekte, Lukas & Hoffmann, Berlin
Härtter, Hendricks, Hoerler, Koch, Stumpf, Galerie ak, Frankfurt/Main
1992 / 93 Objekt, Zeichnung und..., Galerie Witzel, Wiesbaden
1993 Bilder aus Deutschland, Découvertes, Paris (K)
I nuovi tedeschi, Sammlung Deutsche Bank, Roma Scuderie di Palazzo Ruspoli, Rom (K)
1994 Accrochage, Galerie Thieme, Darmstadt
Künstler in Frankfurt, Sammlung Deutsche Bank, Art Frankfurt (K)
Stadt Bild, Karmeliterkloster, Frankfurt/Main (K)
1995 Sequenz XI, Frankfurt/Main (K)
1996 Schwabenheimer Kunstpfad
Künstler helfen Kindern in Not, Deutsche Bank Mainz
1997 1 + 1, Galerie Witzel, Wiesbaden
Film Work
Film Work
1987 Vorprogramm, Werkstattkino mal seh'n, Frankfurt/Main
Onion City Film Festival, Sonderprogramm, Chicago
1988 Chicago's International Film &Video, Chicago Filmmakers
The Art of the Short Film, Saint Louis Gallery of Contemporary Art
Onion City Film Festival, Chicago
1989 Filmfilm Frankfurt, Kommunales Kino, Frankfurt/Main
Bott Hoerler Pezzella, Galerie Hant, Frankfurt/Main
1989 / 90 Frankfurter Avantgardefilm 1980-1989 in 10 bundesdeutschen Städten (P)
1990 6 mal Film im Deutschen Werkbund, Frankfurt/Main (P)
Feminismus und Medien, Symposium des Instituts für Neue Medien, Städelschule, Frankfurt/Main
Im Rahmen der Ausstellung »wisch &weg«, Forum der Frankfurter Sparkasse, Frankfurt/Main
1991 Sequenz III, Video-Compilation, WOM im Hertie-Haus, Frankfurt/Main
Künstlerfilme aus Amsterdam und Frankfurt, Museum für Gegenwartskunst, Basel (P)
Unabhängige Filme aus Frankfurt, Österreichisches Filmmuseum, Wien
1992 apt Gallery, Tokio
Filme + Dia-Serie von Karin Hoerler, Hochschule für Gestaltung, Offenbach/Main
Independent Films from Frankfurt, Film Center, Chicago
EXpanded Screen - Breitenstein mit Hoerler, Kels, Kren, Kommunales Kino, Frankfurt/Main
1993 Öffentlicher Unterricht, Österreichisches Filmmuseum, Wien
1994 Depot, Kunst und Diskussion, Filmnacht, Wien
Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/Main
Künstierhaus Mousonturm, Frankfurt/Main
1997 Filmwoche mit Experimentalfilmen, Frankfurt/Main
Awards
Awards
1986 Förderpreis für die Bildende Kunst des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft
1990 Kunstpreis des Frankfurter Vereins für Künstierhilfe
1992 Stipendium des Landes Hessen für einen Studienaufenthalt in Olevano Romano
1996 Kunstpreis der Frankfurter Sparkasse
About the work (deutsch)
About the work (deutsch)
Die Hinterfragung der Strategien der Verführung
Karin Hoerler zeigt in der vorliegenden, mehrere Ausstellungen begleitenden Dokumentation unterschiedliche ästhetische Strategien und Arbeitsweisen, wobei der serielle Charakter ihrer Arbeiten erkennen läßt, daß der Film - sie war Studentin bei Peter Kubelka - ein wesentliches Medium für sie darstellt.
Gerade in der»Kama-Sutra-Folge« registrieren wir das Moment der virtuellen Veränderung. Die einzelnen collagierten Werke erinnern an die Kader eines Zeichentrickfilms. Indem Hoerler aus bekannten und identifizierbaren Teilen eines Zeicheninventars, das sie der Warenwelt entnimmt, ein neues phantastisches Ganzes formt, das aus zwei sich spiegelnden Hälften besteht, fordert sie die Veränderung dieses Kaders in einem potentiellen Film ein. Dort wo es um unterschiedliche Penetrationsvorstellungen geht, interessiert die Phantasie des Betrachters vor allem die virtuelle Bewegung. Die Arbeiten sind nicht nur das Ergebnis der spielerischen Aktivität der Künstlerin, sie werden auch zum Spielfeld des Betrachters.
Die Methode der Collage wie die Verwendung des banalen Materials unserer Warenwelt kennen wir bereits aus Dadaismus und Surrealismus, später aus der Pop-art, wir denken an Warhol und vor allem an Roy Lichtenstein, an die Analyse der Zeichen in der konkreten und visuellen Poesie, wo es um den Nachweis der Interdependenzen von semantischer und semiotischer Dimension der (Bild-)Zeichen ging.
Karin Hoerler setzt sich mit dem Zeichenmaterial unserer zivilisatorischen Umwelt auseinander, mit nicht an die verbale Sprache gebundenen zeichenhaften elementaren Gebrauchsanweisungen für Kleidung, Binden und Windeln, aber auch mit Verpackungsmitteln wie Einwickelpapier für südländische Früchte, ein bevorzugtes Sammelgebiet von Kindern. Indem sie den funktionalen Zusammenhang aufgibt, setzt sie Bedeutungen frei und stellt diese aus.
In der bereits erwähnten Folge »Kama-Sutra« ordnet die Künstlerin die indischen Bezeichnungen der phantasiereichen erotischen Stellungen ihren Collagen zu, die der Betrachter identifizieren muß. Er deutet assoziativ die aus unterschiedlichen Teilen zusammengesetzte spiegelbildlich angeordnete Gestalt, die eine Form des Verkehrs mit sich selbst nahelegt, da die Elemente einer Figur entstammen.
Bei Karin Hoerler wird also die ursprünglich aufs äußerste verknappte Figur, das Bildzeichen aufgelöst zu Gunsten einer Ppulenzv on Fragmenten und einer vollständigen Absage an das schnelle, den späteren Nutzen im Auge habende Lesen.
In anderen Fällen erhält die Darstellung durch Weglassen bestimmter sinnstiftender Elemente etwas Ungewisses, Schwebendes in der Bedeutung, die der Betrachter nur erahnen, nie festmachen kann.
Der von Produkten aus der dritten Welt überschwemmte europäische Markt kennt Bildzeichen (etwa bei Gummihandschuhen oder Duschhauben), die noch ihre nationalen kulturellen Eigenheiten mitbringen und die von Karin Hoerler extrapoliert, auch ergänzt werden. Im Falle der schon erwähnten Einwickelpapiere, die ich in meiner Kindheit als fremd und exotisch empfand und fleißig sammelte wie tauschte, schafft Karin Hoerler eine Galerie der stereotypen »Neger«, die kulturelle Klischees freilegt, die hinter diesen Werbestrategien verborgen sind.
Karin Hoerler setzt sich mit den Strategien der Werbe- und Warenwelt auseinander und analysiert die Formen der Verführung. Sie zerlegt ihre Zeichen und Bilder auch als Akt der notwendigen Verteidigung, tut dies jedoch mit Ironie, Witz und großem Vergnügen.
Text von Peter Weiermair
Bilder über Bilder mit Bildern
Mit denkbar einfachsten Mitteln und äußerst präzise deckt Karin Hoerler verborgene Beziehungen auf. Die klare Methode der Dekonstruktion bereits vorhandener Bilder aus der Alltagswelt - auf Verpackungsmaterialien - führt zu deren Hinterfragung und damit zu einer irritierenden Untersuchung unserer Wirklichkeit. Ihre triviale Botschaft des Gebrauches der Dinge ist eine direkte und unmittelbare Sprache, ein Code, der sofort allgemein verstanden, aber gerade deshalb oft gar nicht mehr wahrgenommen wird.
Karin Hoerler wählt für ihre Collagen häufig Bilder aus, die sich auf das Handeln von Menschen beziehen, etwa das Wechseln einer Babywindel (MINI), den Einsatz von Gummihandschuhen (MADE IN) oder das Tragen von Unterwäsche (LADIES WEAR, MENS WEAR). Diese zu Klischees geronnenen Motive sind uns schon aufgrund ihrer stereotypen Wiederholung auf jeder neuen Packung desselben Produkts unbewußt vertraut. Obwohl sie unserer organischen Alltagswelt entnommen sind, ist die zeichenhafte Stilisierung von Gesten, Körperhaltungen und Bewegungen vollkommen synthetisch.
»Um etwas über die Darstellungen zu erfahren, habe ich verschiedene Methoden der Untersuchung angewandt.« Karin Hoerler erforscht ihr Material systematisch und mit chirurgischer Präzision. Die Strategie der Zerlegung, das Herausschneiden der Bilder aus der Verpackung kann ihren symbolischen und politischen Gehalt ebenso aufdecken wie auslöschen. Je länger und gründlicher man vertraute Dinge betrachtet, desto absurder und fremder erscheinen sie plötzlich. Was passiert also, wenn überdies die Ursprungszeichnung geklont oder geklappt, vervielfacht oder halbiert wird, wenn sie um ihre eigene Achse gedreht, gespiegelt oder durchschnitten wird, wenn sie mit der anderen Seite ihrer selbst oder auch etwas völlig Anderem auf dem Seziertisch eine neue Verbindung eingeht? Neue fremdartige Bilder entstehen, in denen Glieder ohne Rumpf, hybride Mischwesen, eine lustige Choreographie tanzen wie in LADIES WEAR, MENS WEAR oder ORANGENPAPIERE eine Portraitgalerie kreisförmiger Zielscheiben bilden. Was bleibt, wenn die ursprünglichen Zusammenhänge zerschnitten oder verschoben werden, ist letztlich eine irritierende Ungewißheit, weil die von Karin Hoerler vorgelegten »Untersuchungsreihen« jede eindeutige Botschaft vermeiden.
In Arbeiten wie der Serie LADIES WEAR, MENS WEAR manifestiert sich die Absurdität des Alltäglichen zwar auch in den sportlich-erotischen Turnübungen der mit dem Skalpell isolierten Körperteile, abgründig werden die Bildcollagen jedoch erst durch die Beschreibung von Stellungen beim Liebesakt nach dem Kama-Sutra, die jeder Collage beigegeben wurde. Das beunruhigt, stört doch die Text-Bild-Kombination genauso die Anschauung wie sie andererseits die Phantasie beflügelt. Bei aller Transparenz, die dem analytischen Vorgehe n von Karin Hoerler zu eigen ist, entsteht eine knirschende Dissonanz zwischen Bild und Text, die etwas anderes repräsentiert und gleichzeitig eine inhaltliche Verschiebung bewirkt.
Auch in der 12-teiligen Serie EXTREM wird ein ästhetisches Formerlebnis verbunden mit einer irritierenden Störung der Orientierung, wenn Karin Hoerler Abbildungen von Menstruationsbinden freistellt und als scharf umrissene Ufos durch die unbegrenzte Tiefe des Raumes fliegen läßt. Die in jedem Einzelfall äußerst leistungsorientierten Titel wie SUPER, HYPER, ABSOLUT, IDEAL, OPTIMAL oder ULTRA hat Karin Hoerler der Verpackung entnommen. Das klingt mehr nach dem Jargon in Forschungslabors der NASA als nach Produkten aus dem Sanitärbereich, verweist aber zugleich auf die Notwendigkeit, Ausfluß oder Blut unbedingt zu verbergen und Sicherheit zu schaffen. Auch in Tabu-Zonen gelten eben höchste Leistungsanforderungen.
Über diese Dinge spricht man eigentlich nie, doch sie sprechen zu uns - über ihre ideologisch unterlegten Werbe-Botschaften. Die Bild-Text-Kombinationen auf der Verpackung unterstreichen affirmativ Rollenklischees und Vorurteile: Frauen benutzen Binden und Duschhauben, Frauenhände wickeln das Baby oder benutzen Gummihandschuhe. Dabei ist die psychologische Dynamik faszinierend, die sich hinter dem scheinbar Eindeutigen und Vertrauten verbirgt. Geht es doch in der Werbung nicht nur darum, vor rauhen Händen zu bewahren oder die »richtige« Windel zu verkaufen. Erst mit der dazugehörigen psychologischen Projektion bindet man Kunden dauerhaft, wie etwa die Collage DAMIT SICH IHR BABY FREI UND UNBEHINDERT ENTWICKELT von 1992 zeigt.
Dennoch liegt Karin Hoerler eine moralisierende Haltung fern. Die Beunruhigung, die ihre Arbeiten enthalten, auch die, der in letzter Zeit entstandenen Lichtkästen, entspringt der Offenlegung des unterschwelligen, unbewußten und unpersönlichen Gehalts der Dinge. Karin Hoerlers Arbeiten machen bewußt, daß es neben der real greifbaren Weit eine komplexe Realität des Denkens gibt, die auf faszinierende Weise zurückschlägt - eben »Bilder über Bilder mit Bildern« erzeugt, wie Karin Hoerler einmal sagte.
Text von Eilen Seifermann
Karin Hoerler - Serielle Arbeiten 1991 - 1995
»Die Welt ist so beschaffen, daß sie zunächst aus vollendet stereotypen Wiederholungen besteht. Innerhalb dieser freuen wir uns unaufhörlich über kleine Differenzen, Varianten und Modifikationen. Das Geschäft des Lebens besteht darin, alle Wiederholungen in einem Raum koexistieren zu lassen, in dem sich die Differenz verteilt.« (1)
Wiederholung und Variante: Nach dem Prinzip des Seriellen collagiert Karin Hoerler seit 1982 Bilder von Verpackungen und Gebrauchsanleitungen zu Friesen, Dia-Folgen und Filmen. Die für ihre Arbeiten bevorzugt verwendeten Plastikfolien findet sie dabei nicht in der Abfalltonne. Hoerler betreibt keine Produktarchäologie. Sie kritisiert nicht das stetige Anwachsen des Verpackungsmülls und die Auswirkungen des Konsumverhaltens. Ihr Augenmerk liegt auf diesem Bildmaterial, weil es »ohne den Anspruch Kunst zu sein, modern zu sein, alle verstehen, die verpackte Produkte kaufen « (2).
Letztere avancierten insbesondere seit den 50er Jahren als fester Bestandteil der Alltagskultur zu einem weltweit verbreiteten Kommunikationsmittel, das den Käufer mit spezifischer Text- und Bildsprache über Inhalt und Qualität von Waren informierte. Das Medium übermittelte vertraute visuelle Botschaften, die Werbestrategen aus der Beobachtung und Analyse von Gewohnheiten, Lebensformen und Sehnsüchten unterschiedlicher Kulturen und Gesellschaftsschichten filterten. Manche Darstellungen, wie die Figuren aus Karin Hoerlers Serie der Hauben, scheinen dabei Jahrzehnte überlebt zu haben. Andere, wie die Damenbinden der Serie Extrem, fanden erst durch sich wandelnde gesellschaftliche Konventionen und aufbrechende Tabubereiche Verbreitung in der Öffentlichkeit.
Doch wählte Hoerler die Bilder der Verpackungswelt nicht aufgrund ihrer Wiedererkennbarkeit. Die aus ihrem ursprünglichen Kontext gelösten Fragmente verdichtet sie zu Serien über Objekte und Handlungsabläufe, um in der Verbindung von Bekanntem und Neuem, in der Wiederholung und Variation eines Typus, formale wie inhaltliche Aspekte des Ausgangsmaterials zu untersuchen und Wahrnehmungsmuster offenzulegen.
Die Verarbeitung transparenter Folien und die Reihung einzelner Motive zu Friesen stehen in Zusammenhang mit Hoerlers Studium bei Peter Kubelka. Seit 1978 lehrt der österreichische Filmkünstler und -Theoretiker an der Frankfurter Städelschule. Seine Arbeitsmethode besteht darin, fertiges - sei es eigenes oder fremdes - Filmmaterial einer inhaltlichen und ästhetischen Analyse zu unterziehen, um die als Kader bezeichneten Einzelbilder schließlich neu zu ordnen. Auf die Leinwand projiziert, suggeriert der schnelle Rhythmus ihrer Abfolge keine kontinuierlich fortlaufende, sondern eine flackernde, stockende Bewegung, die mit dem Auge gerade noch wahrnehmbar ist.
In ähnlicher Weise arbeiteten viele seiner Studenten. Während Hoerlers Kommilitonen mit der Kamera Basismaterial einfingen und in ihren Filmen eine ästhetische Organisation der Einzelbilder anstrebten, die das Zufällige, Unwiederholbare der Aufnahme in den Mittelpunkt rückte, schnitt Hoerler ihre Kader mit der Schere aus der Bildwelt der Zellophanverpackungen. Die technische Vorgehensweise ist dabei ähnlich: Die Kameraaufnahmen werden am Schneidetisch durch Einzelkaderbehandlung, Kaderabzählung und -montage neu zusammengesetzt. Die Verpackungsbilder löst Hoerler aus ihrem Zusammenhang, ergänzt, doppelt und reiht die Fragmente, um sie erneut auf Papier oder Klarsichtträger zu collagieren. Auch zugehörige Texte entfernt sie zuerst und führt sie gegebenenfalls wieder mit der Darstellung zusammen.
Mit der schnellen Schnittfolge der als »metrisch« bezeichneten Filme geht Kubelka an die Grenzen physiologischer Wahrnehmungsfähigkeit. Hoerler konzentriert sich in ihren Collagen auf die »Standbilder«. Nicht im zeitlichen Nacheinander, sondern im räumlichen Nebeneinander reiht sie einzelne Elemente, die erst im Kontext ihrer Abfolge - wie im Film - Bedeutung gewinnen und die Sprache ihrer Collagen bilden.
»Es entsteht Eindeutiges, Vieldeutiges und Unbenennbares ... Dabei interessiert mich besonders die Wahrnehmung, wie sehr Benennbares von meiner Entscheidung und der des Betrachters darüber, wie und was wir sehen wollen, abhängt.« (3) Wie Karin Hoerler das Assoziationsspektrum des Betrachters gezielt lenkt oder dessen Vorstellungen frei schweifen läßt, indem sie die Bilder ihrer Ausgangsmaterialien manipuliert, Informationen zurückhält und andere hinzufügt, zeigen die zwischen 1991 und 1995 entstandenen seriellen Arbeiten, insbesondere die »Spiegelungen« der Serie Ladies Wear, Mens Wear.
Ähnlich wie Max Ernst in seinen HolzschnittCollagen der 20er Jahre Heterogenes zu organischen Figuren zusammenfügte, als seien sie einer genetischen Manipulation entsprungen, so ließ Hoerler in dieser Serie die Kultur westlicher Wäschemode mit dem östlichen Geist des Kama-Sutra verschmelzen.
Nach dem Lösen der Ausgangsbilder von der Verpackung vergrößerte und photokopierte sie die Vorlagen auf transparente Folie, zerschnitt zwei Kopien entlang derselben Schnittachse und fügte die Rückseite der einen Hälfte an die andere. In Ladies Wear, Mens Wear verwandeln sich auf diese Weise ein weibliches und ein männliches Modell in erotische Formationen. Die im Text beschriebene Stellung oder Anweisung aus dem Kama-Sutra präsentiert im Bild jedoch nur eine der beiden, durch Doppelung mit sich selbst vereinten Figuren. Die Rolle des Liebespartners verkörpern die an den Rändern der Spiegelachse entstandenen begrenzten Formen - wie zum Beispiel in Madandhvaja oder Yugmapada, die Hoerler durch Hinterlegen von farbigen Folien hervorhebt. Nach der Lektüre des Textes fällt der Blick auf diese zentral gelegenen, Sexualorgane andeutenden Signale. Die Symmetrie der Darstellung läßt dabei an das von Hermann Rorschach entwickelte Verfahren denken, bei dem die Probanden ihre Wahrnehmung seitengleicher Zufallsformen beschreiben sollten. Anders jedoch als die »Klecksbilder« des schweizer Psychiaters, die freie Assoziationen zuließen, lenkt Hoerler die Wahrnehmung des Betrachters durch Text und Bildgestaltung gezielt in den Bereich sexueller Phantasien.
Auch die Serie Extrem berührt einen Intimbereich. Am »Schneidetisch« entfernte Hoerler die Benennungen der einzelnen, durch Zahlen oder Linien gekennzeichneten Zonen, die gewöhnlich Auskunft über Tragekomfort und Hygieneschutz von Damenbinden geben. Zur Reihe addiert treten die aus ihrem Kontext gelösten Objekte in einen regelrechten Wettstreit um das vorteilhafteste Erscheinungsbild. In wissenschaftlichtechnisch anmutenden Zeichnungen offenbaren die länglichen Gebilde keine funktionalen, sondern ihre ästhetischen Qualitäten, die der Betrachter nicht mehr in Zusammenhang mit dem ursprünglichen Produkt wiedererkennt und deutet.
In zahlreichen ihrer Arbeiten wiederholt und variiert Karin Hoerler Hände als Ausführende unterschiedlicher Handlungen und Gesten.
Internationaler Herkunft sind die der Serie Made in. Losgelöst von jeglicher mit Gummihandschuhen zu erledigenden »Handarbeit« entwerfen sie ähnlich wie in Hoerlers früheren Arbeiten Wischen, 1986, oder Immer saubere Hände, 1991, eine Choreographie der Gesten. Sie »zappeln nicht als Erfüllungsgehilfen eines Putzwahnes über die Bildfläche«, sondern - so Karin Hoerler - »haben vielmehr mit Ballett, Musik, Choreografie, Komposition und mit der Sprache der Gestik zu tun « (4). So halten die weiblichen Hände aus Taiwan, Malaysia und Panama Blüte, Spiegel oder Teller zwischen ihren Fingern, Made in Sri Lanka setzt zur Bewegungsfolge eines Tanzes an. Die männliche Hand, Made in Italy, suggeriert dagegen, die Finger zum Siegeszeichen erhoben, kräftiges Anpacken.
Die Addition zur Reihe offenbart hier nicht nur formale Differenzen wie in der Serie Extrem, sondern auch kulturelle Klischees und gesellschaftliche Stereotypien. Während die »europäische männliche« Hand verspricht, ihre Arbeit erfolgreich zu erledigen, kennzeichnen die »fernöstlichen weiblichen« Hände Schönheit und Anmut.
Auch die schlanken, weiblichen Hände der Serie Mini folgen der Choreographie eines Handgriffs-. in narrativer Abfolge erläutern sie das Zurechtlegen einer Windel, das Darauflegen des Kindes und das Schließen der Windel. Obwohl Babykopf und Beinchen in ihrer Lebendigkeit eine innige »Wickelnde-Kind-Beziehung« suggerieren, reduziert sich der Vorgang auf einen bloßen, mit distanzierten Bewegungen ausgeführten Arbeitsschritt, eine »Hände-Windel-Beziehung«. Indem Hoerler die ursprünglich vorhandene Rahmung der einzelnen Abbildungen entfernte, entzog sie der Darstellung den formalen Halt. So gehen in Extra Large Kindeskörper und Hände scharfkantig in die Fläche über. Konnte der Betrachter die Zeichnung zuvor hinter der Rahmung gedanklich fortfahren, enden die fragmentierten Körper jetzt im Leeren. Die Räumlichkeit der Darstellung verliert sich, Vorder- und Hintergrund sind nivelliert. Weniger auffällig ist dies in den symmetrisch angelegten, stilisierten Arbeiten Midi und Maxi Plus. Jedoch imitiert hier die Abfolge der Bilder: Das frisch gewickelte Kind und nicht die schmutzige Windel schwebt über einem geöffneten Abfalleimer, in Maxi Plus über einem Gebilde aufgetürmter Windeln.
Während Karin Hoerler in Mini der Abbildung das Formale Gerüst entzog, beschäftigte sie in der Serie Hauben die Fortführung der am Halsansatz der Figuren endenden Zeichnung. Sie verlängerte die ins Nichts fahrenden Linien zu geschlossenen Körpern. In der Farbe der Originale hinterlegte sie Papiere und schuf so mit der Form der Hauben korrespondierende Flächen, die die Träger einmal wie eine schützende, weiche Hülle umgeben oder lose an ihnen herabhängen.
Die Spuren der Bearbeitung - Schnitt, Kombination, Montage - sind in dieser wie in all ihren Collagen erhalten. Hoerlers künstlerische Handschrift orientiert sich dabei immer an den inhaltlichen und ästhetischen Qualitäten der Ursprungsmaterialien - zum Beispiel Orangenpapiere.
Für die gleichnamige Serie wählte sie sechsunddreißig Exemplare der Südfruchtverpackung mit der Darstellung eines stilisierten Kopfes, den sie ausschnitt und auf Papier montierte. Die dekorative, in plakativen Farben gehaltene geometrische Gestaltung der Orangenpapiere, ist in der kreis- oder strahlenförmigen Rahmung wiederaufgenommen, die die Köpfe wie eine Aura umgibt. Gelöst von ihrer Funktion, mutieren sie zu Bildern über Bilder, deren ästhetischer Reiz und visuelle Botschaft zuvor anders oder gar nicht wahrgenommen wurden, da sie einen in Zusammenhang mit der Ware stehenden Zweck verfolgten. In der Wiederholung reihen sich die Köpfe zu einer Ahnengalerie typenhafter Darstellungen, und doch hebt sich in der Wiederholung jede Variante als individuelles »Portrait« hervor.
Hoerler montiert in ihren Collagen Bilder der real sichtbaren Weit, die mit spezifischen, von persönlichen kulturellen und gesellschaftlichen Faktoren abhängigen Bedeutungen belegt sind. Durch die Wahl des jeweiligen Ausschnitts und seine Bearbeitung setzt sie die einzelnen Elemente in ein Verhältnis wechselnder Konfiguration und verändert so die Sicht auf die Dinge. Wie im Film werden Einstellungen eines einzigen Motivs modifiziert und zum Beispiel in Ladies Wear, Mens Wear zur Serie aufgefächert oder Einstellungen mehrerer Motive zusammengezogen wie in Extrem. Das Serielle fungiert dabei als Prinzip einer Weltsicht, indem Hoerler fragmentarisches Erfassen und anschließende Addition über die Bildreihe als eine Form der Wahrnehmung vorstellt. Für den Betrachter bleibt der Zusammenhang mit dem Ausgangsmaterial mehr oder weniger nachvollziehbar, wird jedoch durch die Art der Bearbeitung aufgebrochen. In seiner Vorstellung kann sich die Bedeutung der im Collagierungsprozeß entfremdeten Abbildungen verändern: Die Binde Extrem mutiert zum Raumschiff, die eingeschriebenen Zahlen verweisen auf Motor, Steuerkabine und Passagierraum, Extra wandelt sich zur mehrlagigen Matratze aus der Kaufhausanzeige, die gute Verarbeitung und Komfort verspricht. Es ist schließlich der Betrachter, der mit seiner individuellen Sicht auf die Dinge den Konflikt unterschiedlicher Sehweisen löst.
Text von Claudia Schicktanz
Anmerkungen
(1) Gilles Deleuze, Differenz und Wiederholung, München 1992, S. 12, zitiert nach: Cordula Meier, Die ästhetische Gestalt des Seriellen am Ende des 20. Jahrhunderts, in: Kunstforum International, Bd. 130, Mai - Juli 1995, S. 145.
(2) Karin Hoerler in einem nicht veröffentlichten Text 1991.
(3) Karin Hoerler in einem Gespräch mit Dr. Annegret Winter im Juli 1996.
(4) ebd.
Bibliography
Bibliography
Karin Hoerler - Serielle Arbeiten auf Paier von 1991 - 1995; Hg.: Institut für moderne Kunst Nürnberg; mit Texten von: Claudia Schicketanz, Ellen Seifermann, Peter Weiermair;
Verlag für moderne Kunst Nürnberg 1997
ISBN 3-928342-82-7
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Exhibitions in artist-info | 29 (S 14/ G 15) |
Did show together with - Top 5 of 243 artists (no. of shows) - all shows - Top 100
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Exhibitions by type | 29: 17 / 1 / 10 / 1 | |||||||||||
Venues by type | 15: 5 / 1 / 8 / 1 | |||||||||||
Curators | 3 | |||||||||||
artist-info records | Mar 1978 - Apr 2015 | |||||||||||
Countries - Top 1 of 1 Germany (22) |
Cities - Top 5 of 8 Wiesbaden (12) Frankfurt am Main (11) Kaiserslautern (1) Recklinghausen (1) Darmstadt (1) |
Venues (no. of shows )
Top 5 of 15
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Curators (no. of shows)
Top 3 of 3
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Deutsche Bank Collection - Artists | S | Apr 2015 - Apr 2015 | Frankfurt am Main | (1) | +0 | |
Galerie Hafemann | S | Sep 2014 - Oct 2014 | Wiesbaden | (38) | +0 | |
Kunsthalle Recklinghausen | G | Sep 2012 - Oct 2012 | Recklinghausen | (69) | +0 | |
Künstlerhaus Schloß Balmoral | G | Feb 2011 - Feb 2011 | Bad Ems | (84) | +0 | |
Perrier, Danièle (Curator) | +0 | |||||
Pilz, Andreas (Curator) | +0 | |||||
Galerie Erhard Witzel | G | May 2010 - Jun 2010 | Wiesbaden | (134) | +0 | |
Kunsthaus Wiesbaden | G | Mar 2010 - Apr 2010 | Wiesbaden | (18) | +0 | |
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